Landcruiser HZJ78
Im Sommer 2010 entscheiden wir uns, ein Auto zu kaufen. Nicht irgendein Auto. Es soll ein geländegängiges Fahrzeug sein, in dem man wohnen und somit für längere Zeit auf Reisen sein kann. Als absolute Geländewagen-Neulinge machen wir uns auf die Suche. Zuerst erstellen wir eine Liste mit den Anforderungen an das Fahrzeug:
- Zuverlässigkeit: Sobald man abseits der Zivilisation und viel befahrener Strassen unterwegs ist, ist die Zuverlässigkeit des Autos enorm wichtig. Schnell realisieren wir, dass Zuverlässigkeit nicht ohne Kompromisse zu haben ist.
- Geländefähigkeit: Da wir auf unseren Reisen nicht nur auf guten, befestigten Pisten unterwegs sein werden, muss sich das Fahrzeug im Gelände bewähren.
- Geräumigkeit: Gerade auf längeren Reisen ist man auf viel Stauraum und einen einigermassen wohnlichen Innenausbau angewiesen. Zudem ist auch die Beinfreiheit in der Führerkabine ein wichtiges Kriterium.
- Ersatzteilversorgung: Falls unterwegs dennoch etwas kaputt gehen sollte und man nicht wochenlang auf die Zustellung der Ersatzteile aus Europa warten möchte, ist eine weltweite Ersatzteil-Versorgung wünschenswert.
- Aussenmasse: Damit einem Auto-Transport in einem Container nichts im Wege steht, sollten die Aussenmasse nicht zu üppig sein. Zudem soll das Gesamtgewicht unter 3,5 Tonnen gehalten werden.
- Elektronik: Damit das Auto notfalls auch vom legendären Dorfschmied im afrikanischen Busch repariert werden kann, sollte so wenig Elektronik wie möglich im Auto verbaut sein. Dass die Fenster von Hand hinunter gekurbelt werden müssen, nehmen wir gerne in Kauf...
- Preis: Das zum Expeditionsmobil ausgebaute, reisefertige Fahrzeug sollte nicht mehr als Fr. 60'000 kosten.
Da durch diese Kriterien einige Ideen bereits ausgeschlossen sind (Unimog, Unicat, Lieferwagen mit Allradantrieb), stellen wir nach einigen Recherchen eine Liste mit den üblichen Verdächtigen zusammen:
- Landrover Defender
- Toyota HZJ75/78
- Nissan Patrol
- Mercedes G
Schliesslich fällt unsere Entscheidung: Ein Toyota Landcruiser HZJ75/78 soll es sein. (In der Schweiz auch LandCruiser 400 Hdt Long 4.2D genannt). Dieses Fahrzeug erfüllt unsere Anforderungen fast ohne Kompromisse.
Ein Toyota Landcruiser HZJ75/78 soll es sein
Vorteile
- Der Laderaum des HZJ78 ist nicht nur enorm geräumig, sondern bietet eine rechteckige Grundfläche, die sich optimal für einen Innenausbau eignet. Zudem bietet das Fahrzeug eine maximale Zuladung von 1000kg.
- Dass dieses Auto in Drittweltländern häufig von der UNO und anderen Hilfsorganisationen eingesetzt wird, spricht für dessen Zuverlässigkeit. Der Verzicht auf Luxus und Elektronik trägt seinen Teil dazu bei.
- Durch die weltweite Verbreitung des Fahrzeugs ist die Ersatzteil-Versorgung gewährleistet.
- Die hohe Sitzposition im Fahrzeug, die grosse Windschutzscheibe und die sehr schmal gehaltenen A-Säulen bieten einen komfortablen Überblick über den Verkehr und das Gelände.
Nachteile
- Da das Fahrzeug in Europa nicht mehr erhältlich ist, gestaltet sich die Beschaffung etwas schwierig. Entweder kauft man sich von einem Spezial-Importeur für teures Geld einen Wagen der auf EU-Normen umgebaut wurde oder man hält Ausschau nach einem Gebrauchtwagen. Durch die hohe Nachfrage nach gut erhaltenen Fahrzeugen ist der Preis auf dem Gebrauchtmarkt relativ hoch.
- Die Geländetauglichkeit des Autos wird durch die Blattfedern etwas eingeschränkt. Die Verschränkung ist nicht berauschend. Durch zuschaltbare Differentialsperren wird dieser Nachteil wett gemacht.
- Da die Fahrzeuge in erster Linie für den Einsatz in Drittweltländern konzipiert sind, sind die Rostschutz-Massnahmen nicht für den Einsatz auf gesalzenen, europäischen Winterstrassen ausgelegt.
- Durch den konsequenten Verzicht auf Luxus findet man im HZJ78 weder ABS noch ESP, geschweige denn Airbags. Das einzige Sicherheits-Feature ist der gute Überblick über die Strasse.
Merkmale HZJ78
Die Modellbezeichnung HZJ78 setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:
HZ: steht für 1HZ-Motor
J7: steht für die Modellreihe J7 (Heavy Duty Landcruiser)
8: steht für Station Wagon (Buschtaxi)
Motor | 1HZ Wirbelkammer-Dieselmotor (ohne Turbo), Reihensechszylinder |
Hubraum | 4164ccm |
Bohrung x Hub | 94 x 100 mm |
Leistung | 96kW (130 PS) @ 4000 Umdrehungen |
Drehmoment | 285 Nm @ 2000 Umdrehungen |
Höchstgeschwindigkeit | 155km/h @ 3600 Umdrehungen |
Bremsweg | 51.5m @ 100km/h |
Getriebe | Vollsynchronisiertes 5-Gang Schaltgetriebe |
Übersetzungsverhältnis | 1. Gang: 4,313:1 2. Gang: 2,330:1 3. Gang: 1,436:1 4. Gang: 1,000:1 5. Gang: 0,838:1 Rückwärtsgang: 4,220:1 |
Geländeuntersetzung | 2,295:1 |
Allradantrieb | Während der Fahrt zuschaltbar, kein Mittendifferenzial |
Aufhängung | Vorne: Starrachse an Schraubenfedern Hinten: Starrachse an Blattfedern |
Bremsen | Vorne: innenbelüftete Scheibenbremsen Hinten: selbstnachstellende Trommelbremse |
Lenkung | Kugelumlauf mit Servounterstützung 19,79:1 |
Originalfelgen | Stahl 5,5J x 16 |
Originalbereifung | 7,5R16 (205R16) |
Chassis | Leiterbauart geschweisst |
Tankvolumen | 2 x 90 Liter Diesel (Afrika-Version) |
L/B/H | 499/177/205 cm |
Leergewicht | 2,24 Tonnen |
Max. Zuladung | ca. 1 Tonne |
Laderaum | 4000 Liter |
Wendekreis | 13,2m |
Verbrauch | ca. 12l/100km |
Fahrzeugkauf
Nachdem die Entscheidung zu Gunsten des HZJ78 gefallen ist, beginnt die Suche nach einem Fahrzeug. Diese gestaltet sich schwieriger als erwartet: Das Auto wird wegen neuer Abgasgesetze seit 2001 nicht mehr offiziell in die Schweiz importiert. Speziell umgerüstete Neuwagen, welche die Gesetze erfüllen, sind zwar im nahen Ausland erhältlich, sind uns aber schlicht zu teuer. Deshalb beginnen wir nach einem Gebrauchtwagen Ausschau zu halten. Während einer dreimonatigen Suche können wir in der Schweiz gerade einmal fünf Gebrauchtwagen finden. Leider sind diese entweder in schlechtem Zustand (Baustellenfahrzeuge mit über 250'000 Kilometer) oder zu teuer (zehnjähriges Auto wird ohne weitere Ausstattung zum Neupreis von knapp 50'000 Franken verkauft).
Kurz vor Weihnachten 2010 finden wir auf der Webseite von Tom's Fahrzeugtechnik ein interessantes Angebot: HZJ78 aus 2001 (eines dieser berühmt berüchtigten IKRK-Fahrzeuge) inkl. Klappdach, Innenausbau, Doppelbatteriesystem, OME Fahrwerk, zwei Zusatz-Treibstofftanks, Differentialsperren vorne und hinten und etwas mehr als 90'000km. Wir schauen uns das Fahrzeug vor Ort an und unterschreiben gleich den Kaufvertrag. Kann man sich ein schöneres Weihnachtsgeschenk vorstellen? Abholen werden wir das Auto erst nach unseren Afrika-Ferien.
Im Februar 2011 steht der Import in die Schweiz an. Dabei ist Einiges zu beachten: Bei einem deutschen Binnenzollamt machen wir eine Ausfuhranmeldung. Zudem müssen wir in Deutschland ein befristetes Ausfuhr-Kontrollschild beantragen. Dazu ist eine Haftpflicht-Versicherung notwendig, die separat gekauft werden muss. Schliesslich machen wir uns auf den Weg zur Grenze. Es empfiehlt sich genügend Zeitreserven am Zoll einzuplanen. Zuerst geht es zu einer Spedition, welche den Papierkram mit Aus- und Einfuhrdokumenten, sowie der Einfuhranmeldung erledigt. Mit den erhaltenen Papieren geht es zum deutschen Zoll. Dort wird das Ausfuhr-Dokument abgestempelt. Dieses Dokument ermöglicht die Einfuhr des Autos in die Schweiz und schlussendlich auch die Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer. Nun folgt der wichtigste Teil: Einfuhr des Wagens in die Schweiz. Dabei müssen Zollgebühren und die Schweizer MwSt. bezahlt werden. Als „Gegenleistung“ erhalten wir das Formular 13.20. Mit diesem können wir das Auto in der Schweiz vorführen und auf eine erfolgreiche Anmeldung hoffen.
Nachdem wir überglücklich mit unserem Auto in der Schweiz angekommen sind, wird unsere Freude plötzlich getrübt: Beim ersten Vorführen beim Strassenverkehrsamt wird uns mitgeteilt, dass wir keine Chance hätten, dieses Fahrzeug in der Schweiz anzumelden. Zu viele Dinge entsprächen nicht der Schweizer Normen – und dies obwohl das Fahrzeug in Deutschland zugelassen war und ich einen deutschen Fahrzeugausweis und diverse Dokumente vom TÜV vorlegen kann. Beanstandet wird von Felgen über Auspuff, Lichtanlage, Bremsen bis zum Schnorchel einfach alles! Wir machen uns Gedanken, ob wir das Auto gleich wieder zu Tom zurückbringen sollen und uns in der Schweiz nach einer Alternativen umsehen sollen. Schliesslich entscheiden wir uns aber dazu, nicht aufzugeben. Ich büffle während zwei Wochen die Paragraphen des Strassenverkehrsreglements und nehme Kontakt zu anderen HZJ78-Besitzern aus der Schweiz auf. Ich muss erfahren, dass ich mir die Anmeldung in der Schweiz viel zu einfach vorgestellt habe. Bevor ich zu meinem zweiten Termin beim Strassenverkehrsamt mit den behobenen „Mängeln“ antrete, bespreche ich die Mängel mit dem Hallenchef vom Strassenverkehrsamt. Mit diversen gesammelten Dokumenten und Paragraphen versuche ich erfolgreich die Mängel zu widerlegen.
Nach einiger Wartezeit steht der zweite Termin an. Der Experte beim Strassenverkehrsamt (ein anderer als beim ersten Termin) begrüsst mich gleich mit den Worten: „Keine Chance mit diesem Auto!“. Nachdem ich ihn darauf aufmerksam mache, dass mit dem Hallenchef bereits alles besprochen sei, verschwindet er für 50 Minuten. Ich warte. Ohne etwas zu sagen kommt er zurück und füllt das Formular 13.20 aus. Er drückt mir die ausgefüllten Dokumente in die Hand und verabschiedet sich 90 Minuten nach seiner Aussage „Keine Chance!“ mit den Worten: „Holen Sie am Ausgang Ihren Führerausweis und die Kontrollschilder ab“. Ich kann es nicht fassen. Das Auto ist in der Schweiz zugelassen! Das Büffeln der Reglemente und das pochen auf mein Recht haben sich gelohnt.
Wir sind überglücklich und taufen unseren HZJ78 auf den Namen „Lars“, in Anlehnung an den kleinen Eisbären - aus den Bilderbüchern von Hans de Beer - der mit seinen Freunden die weite Welt erkundet.
Erfahrungen
Noch bevor das Auto in der Schweiz zugelassen ist, buchen wir Ferien im Sommer 2011 auf Island. Wir möchten das Auto abseits von geteerten Strassen testen.
5000 Kilometer später blicken wir auf erlebnisreiche Island-Ferien zurück. Unser Auto hat uns nie im Stich gelassen. Alles funktionierte einwandfrei. Fast alles. Einige Details müssen noch verbessert werden:
- Landy-Syndrom: Das Auto ist nicht dicht... Irgendwo regnet es rein (wurde bei TravelTech behoben durch Dichtung der Frontscheibe)
- Standheizung: Nach 30min ist die Verbraucher-Batterie leer (siehe Eberspächer Standheizung und Webasto Thermotop)
- Innenausbau: Für eine grössere Reise haben wir zu wenig Stauraum (siehe Innenausbau)
Unsere ursprüngliche Budget-Vorgabe von 60'000 Franken wurde vermutlich nicht eingehalten. Das Fahrzeug haben wir zwar zu einem sehr fairen Preis gekauft. Die ganze Zusatzausrüstung und die kleineren und grösseren Reparaturen haben aber doch noch zu Buche geschlagen.
Auch nach 160'000 gefahrenen Kilometer sind wir mit dem Fahrzeug noch immer sehr zufrieden. Wir hatten auch riesiges Glück und praktisch keine Panne. Für Afrika ist es das perfekte Fahrzeug. Für den amerikanischen Doppelkontinenten mit viel Wind und zwischendurch auch mal nässeren Wetterperioden wäre ein etwas geräumiges Fahrzeug wünschenswert. Mit einem Allrad-Sprinter wäre man gut bedient.
Differentialsperren

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